Was tun, wenn jemand aus dem nahen Umfeld erkrankt?

Was tun, wenn jemand aus dem nahen Umfeld erkrankt?

Die Diagnose einer ernsten, möglicherweise lebensbedrohlichen Erkrankung ist lebensverändernd. Sie ist zunächst ein Schock und es dauert seine Zeit, bis die Diagnose beim Betroffenen „durchgesickert“ ist und die Krankheit als Teil des Lebens angenommen und mit ihr gelebt werden kann. Es ist für viele Menschen ein langer und sehr schmerzvoller Prozess und eine echte Herausforderung. Alles ist auf einmal anders. Das Leben muss umorganisiert werden, eine ganze Menge Gefühle müssen verarbeitet werden und teilweise ändert sich sogar das Wertegerüst des Menschen. Dinge, die bis dahin wichtig waren, erscheinen nun plötzlich unwichtig. Viele Kleinigkeiten, über die man sich den Kopf zerbrochen hat, rücken außerhalb des neuen Blickfeldes und die Suche nach einer neuen Perspektive beginnt. Es ist sicherlich eine der schwersten Aufgaben im Leben, mit einer solchen Situation umzugehen. Aber wie geht es den Angehörigen, denen die den Erkrankten nahestehen? Dabei geht es mir nicht nur um die Gefühle der Angehörigen, sondern um den Umgang mit einem kranken Menschen. Oft herrscht Ratlosigkeit und Hilflosigkeit darüber, wie man mit direkt Betroffenen umgeht.

Was in einer solchen Situation oft passiert, ist zunächst ein Verlust der Augenhöhe. Ein erkrankter Mensch ist in der Regel schwächer als ein gesunder, oder wird zumindest so gesehen. Unter Umständen ist er bedürftig und abhängig von anderen. Und dazu reagiert jeder Mensch unterschiedlich auf eine schlechte Nachricht und so verändert er sich vielleicht innerhalb kürzester Zeit auch in seinem Verhalten. In der Beziehung von Gesundem zu Erkrankten erzeugt bereits die Diagnose oft eben diese Verschiebung der Augenhöhe – schlagartig.

Aus meiner Erfahrung der Paarberatung ist gerade der Verlust der Augenhöhe eines der Kernprobleme in Beziehungen. Oft dauert es wirklich lange, bis diese zwischen kranken und gesunden Menschen wiederhergestellt werden kann, wenn es überhaut gelingt. Das größte Hindernis ist aus meiner Sicht das Mitleid des Gesunden. Das wiederum stellt sich häufig ganz automatisch ein. Doch wenn ich mitleidig auf jemanden schaue, spreche ich ihm die Kraft ab, mit seinem Schicksal selbst fertig zu werden. Hier ist Mitgefühl anstelle von Mitleid besser, um die Augenhöhe mit dem Erkrankten wieder möglich zu machen. Der feine Unterschied zwischen Mitleid und Mitgefühl besteht lediglich darin, dass ich dem anderen sein Leid lasse, seinen Schmerz und seine Krankheit zumute und ihm so zutraue, für sich selbst die besten Wege für sein Wohlbefinden und den Umgang mit der Erkrankung zu kennen. Mitleid hingegen ist wie ein Mantel, der ebendies zudeckt und den Kranken zum Schwachen und Bedürftigen macht und ihn so in ein Abhängigkeitsverhältnis bringt.

Essentiell für das gute Fortbestehen einer Beziehung ist deshalb das Aufrechterhalten oder das schnelle Wiederfinden der Augenhöhe zwischen Menschen, die sich plötzlich in einer ungleichen Lebenssituation wiederfinden und deren Gefühle und Bedürfnisse sich von heute auf morgen ändern. Nicht selten gehen diese noch dazu in entgegengesetzte Richtungen.

Es gibt aber noch andere Aspekte zu beleuchten: In der Regel erkundigt sich jeder nach dem Erkrankten. Wie es dem Angehörigen geht, ist für Außenstehende erst einmal zweitrangig. Dennoch leiden diese manchmal fast mehr, als der direkt Betroffene. Derjenige, der eine Diagnose bekommt, muss mit der Krankheit leben, er ist darauf angewiesen, die Krankheit in sein Leben zu integrieren und sie in irgendeiner Art anzunehmen. Er kommt nicht darum herum. Dieser Schritt des Akzeptierens ist beim Erkrankten ein Muss. Sonst hat er keine Perspektive mehr. Beim einen geht das schneller, beim anderen dauert es länger, aber jeder durchläuft diesen Prozess.

Für den Außenstehenden ist dieser Prozess weniger (be-)greifbar, da er nicht direkt betroffen ist. Das Thema ist nah durch den Erkrankten, für ihn selbst aber weiter weg, da die Krankheit nicht in ihm selbst steckt. Dieser innere Abstand macht es sehr schwer zu akzeptieren, dass der andere wirklich krank ist. Man möchte es nicht wahrhaben, möchte es weghaben und hofft, dass alles wieder so wird, wie es war. Dazu kommt, dass der Angehörige wenig Raum für seine Trauer und die eigene Verarbeitung der Diagnose bekommen. Der Kranke steht ja im Vordergrund und der Angehörige muss sich einerseits um eine neue Haltung ihm gegenüber kümmern und fühlt sich andererseits nicht selten in der Pflicht dem Erkrankten etwas abzunehmen. So bleibt wenig Zeit für die eigenen Bedürfnisse. Dabei wäre es gerade in solchen Momenten umso wichtiger, bei Kräften zu bleiben.

Bei unheilbaren Krankheiten, weiß der Angehörige, dass er „übrig“ bleibt. Er muss umdenken lernen und sein Leben neu gestalten. Zunächst mit der erkrankten Person und mit der Gewissheit, dass sich der Zustand derselben teilweise täglich verändern und verschlechtern wird. Es ist ein ständiges Ausloten, was noch möglich ist, wo Hilfe erforderlich wird und wie man sich infolgedessen in der Beziehung neu verortet. Auch die Beziehung verändert sich mit dem Zustand des Betroffenen in immer kürzeren Zeitabschnitten und so heißt es, sich immer wieder neu definieren. Dazu kommt bei unheilbar Kranken der Abschied. Er beschränkt sich für beide zunächst auf das Thema Gesundheit. Man muss sich vom Zustand „gesund“ verabschieden und begreifen, was das für jeden Einzelnen bedeutet und den neuen Zustand „krank“ annehmen und damit leben lernen. Irgendwann steht der Tod als neues Thema im Raum, mit dem die meisten vorher in der Regel keinen Umgang lernen. Der Tod ist speziell in unserer Kultur eher ein Tabuthema. So entsteht große Unsicherheit beim Angehörigen.

Was tun?

Die erkrankte Person ist zwangsläufig auf den jeweiligen Krankheitszustand zurückgeworfen. Sie hat keine andere Wahl, als sich mit ihrem Körper und den kleinen Schritten zu beschäftigen, die ihr in dem Moment Erleichterung verschaffen. Alles darum herum kommt an zweiter Stelle. Für sie sind also die Prioritäten relativ klar durch den neuen Zustand gesetzt. So paradox das klingen mag ist es für den Angehörigen aber ebenso wichtig, wie für den Kranken, sich zunächst auf sich selbst zu konzentrieren. Er muss bei Kräften bleiben. Das ist fundamental, wenn er dem Kranken helfen möchte. Wenn er zusammenbricht, kann er für niemanden mehr da sein.

Ich empfehle hier eine Übung mit dem Namen Energietank:

Malen Sie sich ein Fass auf ein Blatt Papier und nebendran eine Skala von 0 % bis 100 %.

Angenommen der Inhalt des Fasses würde Ihren derzeitigen Energiestand darstellen, dann machen Sie einen Strich auf der Höhe, die sich derzeit passend anfühlt. Zeichnen Sie die Prozentzahl dazu ein auf Ihrer Skala. Jetzt malen sie oben einen Zulauf hin und listen auf, was in Ihrem Leben dafür sorgt, dass Sie Energie tanken können. Am unteren Ende des Fasses malen Sie einen Ablaufhahn und listen darunter auf, wo Energie abfließt. Zum Schluss schauen Sie, was Sie in kleinen Schritten tun können, um ihr Energielevel zu erhöhen.

Probieren Sie es aus. Natürlich löst diese Übung nicht alle Probleme einer solchen Situation, aber sie gibt Ihnen den Raum, sich wieder auf sich selbst zu konzentrieren, und zeigt, wo Sie Ihre Energiequellen finden können. Schon ein bisschen mehr Energie bedeutet ein Stückchen mehr Entspannung, Kraft und Freude und das können wir alle gut gebrauchen.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß mit der Übung und alles Gute!

Maja Günther