Kennen Sie das? Sie kommen von der Arbeit und steigen direkt ins Familienleben ein. Sie haben sich eigentlich auf den Feierabend zu Hause gefreut, aber irgendetwas scheint nicht rund zu laufen und Sie wissen nicht genau, was passiert ist. Denn eigentlich war den ganzen Tag über alles gut.
Drehen wir die Uhr noch einmal zurück zu dem Zeitpunkt, als Sie Ihren Arbeitsplatz verlassen haben: Kaum gehen Sie durch die Türe Ihrer Firma hinaus, rufen Sie noch kurz jemanden zurück. Er hat es schon vor Stunden bei Ihnen versucht, aber weil Ihr Tag so voll war, kommen Sie erst jetzt auf dem Weg zum Bus dazu mir ihm zu sprechen. Im Bus checken Sie nochmals kurz Ihre E-Mails. Einige dringende beantworten Sie noch schnell, damit morgen früh nicht gleich der Schreibtisch so voll ist. Gleichzeitig organisieren Sie in Gedanken schon das Abendessen und den Einkaufsplan. Nach der Busfahrt gehen Sie noch schnell beim Supermarkt vorbei. Gerade als Sie vor dem Gemüseregal stehen und überlegen, was Sie für heute Abend brauchen, da klingelt Ihr Handy: Ihr Kunde – muss wichtig sein, wenn der sich jetzt noch meldet! Also klemmen Sie Ihr Handy zwischen Ohr und Schulter, packen den Einkaufskorb unter den Arm, fischen den Geldbeutel aus der Tasche, bezahlen, räumen die Einkaufssachen ein und lächeln müde der Kassiererin zu – und das alles während Sie ihrem Kunden zuhören. Endlich kommen Sie zu Hause an. Sie schließen die Türe auf und schon hängt Ihnen ein Kind am Hals und erzählt von den Erlebnissen seines Tages, ohne Punkt und Komma. Ihr Partner oder Ihre Partnerin steht dahinter und fragt Sie, ob Sie alles im Supermarkt bekommen haben, wie es in der Arbeit war und wie der Abend verlaufen wird. Und plötzlich sind Sie mittendrin im Familienleben.
Sie hatten keine Minute Pause, keine Zeit zum Durchschnaufen, keinen Raum für sich. Sie sind einfach nahtlos vom einen ins andere eingetaucht. Wahrscheinlich ist Ihnen spätestens jetzt so einiges zu viel und sie werden genervt, wütend oder verlieren die Geduld wegen Dingen, die Sie in einem anderen Moment überhaupt nicht stören würden. Vielleicht schnauzen Sie jetzt Ihren Partner oder Ihre Partnerin an oder Sie reagieren kurz angebunden und können sich nicht auf Gesagtes konzentrieren. Vielleicht haben Sie auch den Eindruck, dass ohne Sie überhaupt nichts funktioniert, und das wiederum verstärkt den Druck bei Ihnen und verschlechtert Ihre Stimmung. Am Ende würden Sie am Liebsten auf dem Absatz kehrt machen und rückwärts aus der Tür verschwinden.
Wie konnte es nur soweit kommen? Eine Stunde zuvor waren Sie noch bester Laune und haben beschwingt dem wohlverdienten Feierabend entgegengeblickt. Was ist in dieser Stunde geschehen? Sie haben beim Wechsel von einer in die nächste Lebenssituation einfach nur den Übergang verpasst.
Übergänge sind Zeiträume, die nicht von uns oder von äußeren Umständen strukturiert sind. Sie sind nicht bewusst ausgestaltet bzw. mit Sinn gefüllt und in der Regel kümmert sich auch keiner darum. Oft sind sie uns nicht einmal bewusst, bzw. ist uns nicht klar, wie wichtig sie sind und was passiert, wenn wir uns keine Übergänge schaffen. Doch was verpassen wir, ohne Übergänge?
Wenn wir den Übergang nicht nutzen, uns über unseren Zustand im Klaren zu werden, dann kommen wir nach Hause und es prasseln so viele Bedürfnisse von anderen auf uns ein, dass wir keine Zeit mehr haben, herauszufinden, was wir brauchen – geschweige denn Platz haben, uns um sie zu kümmern. Aber wer soll sich um uns und unsere Bedürfnisse kümmern, wenn nicht wir selbst? Denn der Partner oder die Partnerin ist wahrscheinlich in einer ähnlichen Situation wie wir. Und wenn wir den Wunsch in uns nach Hause tragen, er oder sie möge sich um uns kümmern, wird die Luft schnell dicker und es kommen Sätze auf wie: »Du kannst doch auch mal …!« oder »Immer muss ich mich um alles alleine kümmern!«
Wie kommen wir da raus? Die Lösung ist im Prinzip ganz einfach. Gestalten und füllen Sie Ihre Übergänge aktiv und mit Lust aus. Und das geht so:
Fragen Sie sich Sie sich: Habe ich, als ich das Firmengebäude verlassen habe, bewusst wahrgenommen, wie das Wetter ist? Weiß ich noch, ob es kalt oder warm war? Ob Wolken am Himmel standen oder die Sonne schien? Habe ich mich gefragt, wie es mir in dem Moment körperlich und seelisch geht? Habe ich andere Menschen um mich herum wahrgenommen, an der Bushaltestelle, im Bus, im Supermarkt? Hatte ich Zeit, eine Denkpause einzulegen oder den Tag Revue passieren zu lassen? Welches körperliche oder seelische Bedürfnis hatte ich, wie hoch war mein Energielevel? Habe ich mir überlegt, was ich zur Erholung brauche und wie ich dazu komme?
Sobald Sie aus der Türe Ihres Firmengebäudes gehen, schalten Sie Ihr Handy aus – nicht auf Vibrationsmodus oder lautlos, nicht auf Flugmodus, sondern einfach aus. Dann stecken Sie es in Ihre Tasche und genießen Sie den Moment der Unerreichbarkeit. Der gehört schon mal Ihnen.
Dann öffnen Sie alle Ihre Sinne und nehmen Sie Ihre Außenwelt wahr. Fragen Sie sich:
- Welches Wetter ist heute?
- Welche Temperatur hat es? Fühlt sich die Luft warm und lau an oder eher kalt und frisch?
- Wie weit ist die Natur gediehen in der jeweiligen Jahreszeit?
- Welche Lichtverhältnisse bestehen zur aktuellen Tageszeit?
- Was ist hier draußen los?
- Wer befindet sich da? Sind viele Menschen unterwegs oder wenige? Haben sie gute Laune oder gehetzt?
- Wie geht es mir jetzt gerade?
- Was brauche ich jetzt für mein Wohlbefinden?
- Welches Essen tut mir gut? Auf was habe ich besonders Lust?
- Wie viel Zeit brauche ich jetzt für mich?
Gehen Sie Ihren Weg zur Bushaltestelle in dem Bewusstsein, dass dieser Teil der Arbeit für heute abgeschlossen ist. Es folgt ein anderer, neuer Tagesabschnitt und eine neue Situation und Sie sind jetzt gerade auf dem Weg dorthin.
Arbeiten Sie auf dem weiteren Nachhauseweg einen kleinen Wohlfühlplan aus und fragen sich, was sie jetzt konkret brauchen, um einen guten Übergang zu schaffen. Sind es vielleicht 15 Minuten Zeit für sich alleine? Wollen Sie noch kurz spazieren gehen, um abzuschalten, oder auf einer Bank sitzen? Wollen Sie sich zu Hause noch etwas zurückziehen, oder sich umziehen und die Arbeitskleidung ablegen? Wollen Sie kurz duschen?
Wenn Sie dann zu Hause angekommen sind, machen sich bewusst, jetzt bin ich da. Alles, was vorher war ist jetzt abgeschlossen. Dann nehmen Sie Ihren Partner oder Ihre Partnerin ganz wahr. Schauen Sie ihn oder sie für einen langen Moment an und nehmen Sie ihn oder sie in ihrer jeweiligen Situation oder Stimmung bewusst wahr. Fragen Sie: Wie geht es Dir? Und nehmen Sie auch die Antwort bewusst und mit vollem Anteil wahr.
Verfahren Sie so mit jedem kleinen Übergang. Oft hilft es, sich schon im Vorfeld darüber klar zu werden, wann am Tag Übergänge zu erwarten sind und sich diese zu notieren, um sie entsprechend gestalten zu können. Zum Beispiel nach dem Aufwachen, nehmen Sie wahr, was ist:
- In welcher Stimmung befinden Sie sich?
- Wie geht es Ihnen?
- Was brauchen Sie jetzt und hier, um gut in den Tag starten zu können?
Probieren Sie es eine Zeit lang aus und gestalten bewusst Ihre Übergänge. Wenn Sie mögen, schreiben Sie mir, welche Erfahrungen Sie machen. Ich wünsche Ihnen dabei alles Gute.
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