In diesem Beitrag geht es um die Frage, ob sich selbst zu verwirklichen heißt, dass man gleichzeitig egoistisch ist. Werden wir zum Egoisten, wenn wir die Erfüllung unserer Wünsche und Ziele anderen voranstellen?

Von Geburt an wachsen wir an unseren Aufgaben. Wir machen immer neue Erfahrungen und lernen zu jeder Zeit. Sobald wir etwas tun oder mit anderen Menschen in Beziehung treten, lernen wir. Wir lernen im Alltag ganz von selbst. Insofern sind wir in einem ständigen Prozess, indem wir uns selbst weiterentwickeln. Wenn wir erwachsen werden, entwickeln wir eine Idee davon, wer wir sein wollen und was wir werden wollen. Wir verfolgen unsere Ziele und Wünsche und versuchen, diese wahr werden zu lassen. Alles, was wir dazulernen – sei es bewusst oder unbewusst –, nutzen wir dafür, der Mensch zu werden, der wir gerne sein wollen. So verwirklichen wir uns selbst und formen unsere einzigartige Persönlichkeit.

Heute ist überall Persönlichkeit und Individualität gefragt. Es wird von uns erwartet, dass wir uns gut kennen und auf Erfahrungen zurückgreifen können, dass uns nichts so schnell aus der Bahn wirft, dass wir eigene Ziele und Wünsche in uns tragen und danach streben, diese zu erreichen und uns selbst zu optimieren. Wir sollen im Reinen mit uns sein, uns selbst anerkennen und lieben können und wir sollen uns dessen auch noch bewusst sein. In gewissem Maß wird Selbstverwirklichung also vorausgesetzt.

Es gibt aber auch Lebensumstände, die das Verfolgen von eigenen Zielen und Wünschen bis zur Erfüllung nicht zulassen. Beruflich können wir manchmal keine Rücksicht darauf nehmen, unsere eigentlichen Wünsche zu leben, weil das Geld dafür nicht reicht. Solche Lebensumstände geben dem Thema Selbstverwirklichung einen faden Beigeschmack. Und trotzdem haben wir immer einen Spielraum. Wir können uns auch im Kleinen Wünsche erfüllen. Oder wenn wir unseren Traumberuf nicht verwirklichen konnten, so können wir unseren Neigungen zumindest im privaten Bereich, vielleicht in einem Hobby nachgehen. Oder wir bilden uns in der Richtung weiter, die wir uns gewünscht haben und machen später etwas daraus.

Oft wird Selbstverwirklichung aber auch mit Rücksichtslosigkeit anderen gegenüber verbunden. Wenn wir zum Beispiel ein Projekt fertig machen, obwohl ein Kollege gleichzeitig bei etwas anderem unsere Unterstützung bräuchte. Oder wenn wir uns um eine Beförderung bemühen, obwohl wir wissen, dass eine Kollegin ebenfalls an dieser Position interessiert ist. Allgemein wenn wir unser Ziel verfolgen und uns in dem Moment dafür entscheiden, erst den eigenen Weg zuende zu gehen, bevor wir unsere Aufmerksamkeit anderen widmen. Hier ist der Grad zwischen Egoismus und Selbstverwirklichung schmal. Es ist eine Frage der Perspektive, ob wir als zielstrebig oder arrogant wahrgenommen werden.

In diesen Situationen geht es darum, was dir in dem Moment wichtiger ist. Bist du dir selbst wichtiger, oder ist es dir wichtiger, auf andere Rücksicht zu nehmen? Egoismus gibt es nur in Verbindung mit anderen. Zu dir alleine kannst du nicht egoistisch sein. Du kannst andere verärgern mit deinem Verhalten, weil sie dich für egoistisch halten. Aber niemand kennt all deine Beweggründe und Lebensumstände. Du bist der einzige Mensch, der in diesem Moment entscheiden kann, ob es dir selbst besser geht, wenn du für dich da bist, oder, ob es dir besser geht, wenn du für andere da bist.

Egoismus ist objektiv nicht messbar. Du kannst nur für dich selbst definieren, ab wann du dich als Egoist fühlst. Solange kein anderer Schaden nimmt, aufgrund deines Verhaltens, hast du zu jeder Zeit das Recht dich um dich selbst, und um deine Aufgaben, Projekte und Ziele zu kümmern.

Die gesellschaftliche Debatte um Egoismus geht sogar soweit, dass wir manchmal denken, wir dürften uns nicht mehr um uns selbst kümmern. Als Ergebnis davon bekommen wir ein schlechtes Gewissen, wenn wir etwas für uns tun, anstelle die Zeit zu genießen.

Traue dich, dich selbst an erste Stelle zu stellen. Überlege dir, wie wichtig dir das Verfolgen deiner Wünsche und Ziele in dem Moment ist. Stelle dir andere vor, die Forderungen an dich haben und überlege, ob sie Schaden nehmen, wenn du dich nicht erst um sie kümmerst. Was hast du mit der Forderung der anderen zu tun? Ist sie berechtigt? Oder fühlst du dich verpflichtet, ohne, dass andere etwas von dir erwarten? Ist es dein schlechtes Gewissen, nicht genug Zeit für andere aufzubringen? Es kann auch helfen, wenn du einen Zeitraum, oder Zeitpunkt definierst, bis zu dem du dein eigenes Ziel erreicht haben möchtest. Du kannst in deine Zeitplanung auch Zeiten für andere einbeziehen. Dann hast du fest definierte Zeiten, in denen du deine Aufmerksamkeit anderen widmest. Und du kannst deine Beweggründe mitteilen. Sag den anderen warum du dich so entscheidest und wann du für sie da sein wirst.

Und dennoch kann es sein, dass andere sich darüber ärgern. Sie können nie die ganze Wahrheit sehen. Denn nur du kennst dein Gefühl und dein Bedürfnis in dem Moment.

Ich wünsche dir, dass du deinen Spielraum nutzt und mit gutem Gewissen und Freude deinen Wünschen und Zielen näherkommst. Wenn du glücklich bist, werden das auch die anderen spüren.

Lass es dir gut gehen!

Deine Maja Günther

Categories:

Comments are closed