Selbstbewusst oder arrogant?

Immer wieder höre ich von Klienten die Frage: Wie präsentiere ich mich so, dass mein Gegenüber erkennt, ich bin selbstbewusst? Gleichzeitig möchte ich dabei auf keinen Fall arrogant wirken.

Wie kommen wir darauf, dass Selbstbewusstsein etwas mit Arroganz zu tun hat?

Auf der einen Seite wird heute von uns gefordert stabil, sicher, klar, präsent, eben selbstbewusst aufzutreten. In der Arbeitswelt haben diese sogenannten Softskills längst die fachlichen und methodischen Kompetenzen eingeholt. Auf der anderen Seite beobachte ich immer noch eine große Vorsicht, um nicht zu sagen Hemmung vor einem selbstbewussten Auftreten. Allzu oft wird es als Arroganz ausgelegt. Es scheint fast so, als wäre der Grat zwischen Selbstbewusstsein und Arroganz ungangbar schmal und man drohe jederzeit, bei jedem Schritt an einer Seite abzustürzen.

Umso wichtiger erscheint es mir zu klären, was es bedeutet, sich seiner selbst bewusst zu sein. Selbstbewusst zu sein, heißt, seine Stärken, seine Fähigkeiten und Kompetenzen zu kennen. Es heißt weiter, sich selbst wahrzunehmen mit allem, was einen als Mensch ausmacht: mit Erfahrungen, überwundenen Krisen und vielleicht mit dem Wissen, wie man in schwachen Momenten wieder zu Stärke gelangt. Für mich gehört auch dazu, sich seiner Schattenseiten bewusst zu sein und mit den eigenen Schwachstellen umgehen zu können – es zumindest zu lernen. Dann ist man sich bewusst, was an einem gut ist. Dieser positiv belegte Begriff Selbstbewusstsein lässt sich also in gewisser Weise objektiv und klar definieren. Hier herrscht ein breiter Konsens.

Aber was bedeutet Arroganz? Heißt es, nur über die eigenen Stärken zu sprechen und sie ständig hervorzuheben? Oder heißt es, sich selbst überzubetonen und seine Eigenheiten über die der anderen zu stellen? Im Gegensatz zu Selbstbewusstsein wird Arroganz von jedem anders empfunden. Grund dafür ist, dass Arroganz für viele von uns nur ein latentes Gefühl ist, etwas schwer Beschreibbares. So spielen in der Bewertung auch kulturelle Unterschiede eine Rolle. In den USA klebt man sich Sticker mit der Aufschrift »I am the best driver« aufs Auto. Für alles und jeden gibt es Belohnungen in Form von Sprüchen auf Aufklebern, zum Anstecken oder als Zertifikate. Dort spricht man von »gesundem Selbstbewusstsein«. Hier in Deutschland würde ein solches Verhalten längst als arrogant bezeichnet werden.

Was verstehen Sie unter Arroganz? Wenn ich meinen Klienten diese Frage stelle, bekomme ich so viele Antworten, wie Befragte. Das hat auch mit individuell verschiedenen Wertesystemen des sozialen und familiären Umfelds, sowie mit der Definition des Begriffs Arroganz zu tun.

Lange Zeit schon beschäftigt mich die Frage, warum wir uns in Deutschland so schwer tun, selbstbewusst aufzutreten und uns mit Stolz für andere sichtbar machen. Vielleicht ist auch das tief verinnerlichte Schuldgefühl der Deutschen aus dem Zweiten Weltkrieg verantwortlich dafür. Natürlich lassen sich nicht alle psychischen Probleme unserer Gesellschaft mit dem Weltkrieg entschuldigen. Aber manchmal beschleicht mich das Gefühl, wir Deutschen dürfen (außer im Fußball) nicht zu stolz auf uns selbst sein, auf das, was wir können, was uns ausmacht. Warum gelten wir als arrogant, wenn wir uns laut, schrill oder auffällig zeigen? Oder wenn wir überhaupt auffallen. Gerade in der Arbeitswelt müssen wir uns hinter Werten wie Bescheidenheit, Zurückhaltung oder Demut verstecken. Die Arbeitsmoral vieler Unternehmen fußt auch heute noch auf Strenge der Angestellten mit sich selbst. Doch damit tun wir uns keinen Gefallen.

Einerseits sehnen wir uns nach Anerkennung und Lob, auf der anderen Seite dürfen wir uns ja nicht zu stark auf die eigene Schulter klopfen, wenn etwas gut gelaufen ist. Nicht von ungefähr sind Sprüche wie »Eigenlob stinkt« fest in uns verankert. Aber wie können wir von anderen Anerkennung erfahren, wenn wir uns nicht einmal selbst loben dürfen. Da lernen wir mühsam in Coachings und Workshops, durch Therapie oder Bücher, wie wir uns selbst akzeptieren und lieben können – so wie wir sind, mit all unseren Eigenheiten und komplizierten Seiten – und dann sollen wir gerade unsere Stärken verstecken. Wir sollen uns selbstbewusst hinstellen, stark sein und für uns einstehen. Dabei dürfen wir aber nicht zu laut werden und nicht zu sehr betonen was wir gut können. Nur nicht zu sehr auffallen und arrogant wirken! Wo fängt die Arroganz an und wo hört sie auf?

Es scheint ein unsichtbares Maß zu geben, nachdem man sich ab einem bestimmten Grad an Selbstbewusstsein plötzlich in einen arroganten Menschen verwandelt. Dieses Maß ist von der Erziehung, dem sozialen und gesellschaftlichen Umfeld sowie der Kultur abhängig. Da wird es in einer globalisierten Welt schon ganz schön kompliziert herauszufinden, welches das richtige Maß ist. Wer bestimmt eigentlich dieses Maß? Sicher werden wir keine Antwort darauf finden, wenn wir es von anderen für uns festlegen lassen.

Wir müssen für uns selbst das Maß finden, mit dem wir uns wohlfühlen. Was für ein schöner Gedanke! Er macht uns ein Stück weit unabhängig von der Meinung anderer.

Wie können Sie das konkret umsetzen?

Wenn Ihnen bewusst ist, dass Sie etwas besonders gut können oder gut gemacht haben, genießen Sie es. Nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit und klopfen Sie sich innerlich einmal selbst auf die Schulter. Sagen Sie sich so etwas wie: »Das bin ich! Das ist meine Leistung. Das kann ich gut. Das habe ich mir erarbeitet. Das habe ich gut gemacht. Das zeichnet mich aus!«

Finden Sie hierfür Ihre eigenen, für Sie passenden Worte. Anschließend nehmen Sie mit geschlossenen Augen Ihren Körper wahr. Wenn Sie ihr eigenes Lob irgendwo verorten würden in Ihrem Körper, wo Sie es am ehesten spüren? Wie fühlt es sich am ehesten an? Merken Sie sich dieses Gefühl. Je öfter Sie diese kleine Übung machen, desto besser wird Ihr Körper die positive Emotion und die guten Gedanken mit dem Körpergefühl abspeichern. Das können Sie später nutzen und bewusst einsetzen. In Zukunft können Sie sich in Momenten, in denen Ihr Selbstbewusstsein leidet, an dieses Gefühl im Körper erinnern. So lässt sich das gespeicherte gute Gefühl als Unterstützung in schwachen Momenten hervorholen.

Behandeln sie sich gut, wertschätzend und mit Stolz. Es ist Ihre Leistung sich selbst anzuerkennen und das dürfen Sie auch zeigen. Nehmen Sie bewusst eine neue Haltung zu sich ein. Stellen Sie sich mit dem Gefühl der neuen inneren Haltung auch in eine dazu passende Körperhaltung. Genießen Sie es, auch oder eben gerade wenn Sie jetzt mental ein bisschen größer sind, als in Wirklichkeit.

Vielleicht entwickeln wir irgendwann ein neues Selbstverständnis von uns und verstehen den Begriff Selbstbewusstsein anders. Das würde ich uns wünschen. Bald! Heute!

Ihre Maja Günther